wer hört den wind

Stimmenschatten

Ein poetischer Spiegel über Macht, Illusion und das leise Herz der Leerheit. 

I
Aus den schwarzen Wäldern der Bildschirme
bricht Lärm – wie Licht ohne Ursprung.
Worte: welkes Laub in Tümpel, die keine Sterne spiegeln,
nur Algorithmus und Abgrund.
Wer spricht, wenn der Sinn verkrustet in Moos und Meinungen?
Fahnen wehen aus Asche – ohne Namen.
In den Drähten lärmen Stare, Stimmen wie geplatzte Gebete.
Nichts hält. Kein Zentrum.

II
Am Ufer der Stille sitzt der Mönch –
nicht entrückt, nur atmend.
Die Flüsse klagen in verbrannten Wassern,
Adern aus Angst und Erinnerung.
Jeder Hauch:
ein Faden im Gewebe der Wiederkehr.
Stimmen toben – blind für ihre Leere.
Achtsamkeit: 
das Echo eines Tons, der nie erklang.
Kein Halt. Nur Atem.

III
Wer hört den Wind, wenn nur das Ich spricht?
Die Welt dreht sich – um einen Thron aus Nebel.
Kein Gewicht, kein Grund, kein Ursprung.
Der Lotus, geboren aus verbrannten Feldern,
blüht ohne Licht, hält das Echo der Nacht.
Im Lärm der Welt – ein Schweigen, das trägt.
Kein Halt. Kein Zentrum. 

Nur die Stille, 
die unter allem atmet.

© 27.06.2025 Chris Nivata  – Alle Rechte vorbehalten.


Meditativer Kommentar zu „Stimmenschatten“


Dieses Gedicht ist kein Vortrag, kein Ruf – sondern eine stille Einladung, in den Zwischenraum zu hören, wo Stimmen, Bilder und Reizketten unserer Zeit verwehen. Es webt ein leises Gewebe aus Bildern, durch das die Leere scheint, wie Licht durch die Ränder eines Spiegels, den niemand hält.

Im Mahayana-Buddhismus ist Leere nicht Zerstörung, nicht Abwesenheit, sondern die Formlosigkeit, die alle Formen trägt – die Offenheit, in der alles verbunden ist, weil nichts aus sich selbst besteht.

Macht ist flüchtig, weil sie auf Trennung gründet; das Ich ist laut, doch die Stille kennt kein Zentrum, keinen Thron. Wenn die Welt sich um Throne aus Nebel dreht, wird das stille Sitzen zu Widerstand.

Achtsamkeit ist kein Rückzug, sondern ein Atem, der nichts festhält – und gerade darin frei macht. Vielleicht beginnt Erwachen nicht mit Antworten, sondern mit der Hingabe an das Nichtwissen, an ein Echo, das nie erklang und doch den stillsten Teil in uns berührt.

Nivata