Dzogchen @gebetsfahnen

Dzogchen – Weite ohne Anfang, Vollendung ohne Ende

Ein Blick ins Herz der Klarheit mit der Yogini Machig Labdrön

Dzogchen – tibetisch ‚Große Vollendung‘ – ist kein fernes Ziel, sondern das Erkennen: der Geist ist von Anfang an weit und vollkommen. Alles, was erscheint, darf in dieser Offenheit sein und kehrt von selbst in ihre Stille zurück. Dzogchen ist das Erkennen, dass nichts fehlt. Alles – Licht und Schatten, Geburt und Tod – ruht in derselben Weite des Geistes. Nichts muss hinzugefügt werden, nichts entfernt. Alles, was auftaucht, fällt in diese Weite zurück – wie Wellen in den Ozean. 

Es ist eine der höchsten Lehren im Buddhismus. Auf Sanskrit heißt dieser Weg Mahāsandhi – die ‚Große Verschmelzung‘ – ein Hinweis darauf, dass selbst Gegensätze in Wahrheit nicht getrennt sind.

Machig Labdrön – Die Schattentänzerin

Machig Labdrön lebte im Tibet des 11. Jahrhunderts und ging als eine der wenigen Frauen in die buddhistische Geschichte ein, die sich in einer von Männern geprägten Tradition eine eigene Stimme und Autorität erwarb. Sie gilt als Begründerin der Chöd-Praxis – eines Weges, der nicht im Abwehren der Schatten wurzelt, sondern im Erkennen: ob als innere Angst oder äußere Erscheinung – Dämonen sind Spiegel im weiten Raum des Geistes.

Statt Kampf lehrte sie Hingabe, statt Verdrängung ein radikales Sich-Öffnen – selbst gegenüber Furcht, Anhaftung und inneren Widerständen. In dieser Haltung spiegelt sich die Essenz des Dzogchen, dessen Meisterin sie zugleich war: die Weite des Geistes, in der nichts ausgeschlossen werden muss.

So wurde ihre Praxis zu einer Kunst des Loslassens. Aus dieser Haltung sprach Machig mit einer Klarheit, die bis heute berührt: wie ein Echo aus der Tiefe des Geistes, das Mut, Vertrauen und Hingabe zugleich weckt.


Einführung in die ursprüngliche Natur der Prajnaparamita

Nach Machig Labdrön*

Für Menschen mit scharfem Geist und starkem Glauben, die die Lehre des Mahasandhi (Dzogchen) praktizieren möchten, ist es sinnvoll, einen ruhigen, abgeschiedenen Ort aufzusuchen und dabei alle fühlenden Wesen – sich selbst und andere – im Herzen zu tragen.

Nun, da die günstigen Umstände eines menschlichen Lebens mit all seinen Möglichkeiten gegeben sind, ist es am wichtigsten, über die Vergänglichkeit dieses Lebens nachzudenken. 

Mit einem Gefühl des Überdrusses gegenüber Samsara und dem Wunsch, anderen fühlenden Wesen zu nutzen, halte Körper, Rede und Geist friedvoll und meditiere folgendermaßen:

Die äußeren Behälter – bestehend aus Erde, Steinen, Bergen, Felsen usw. – und die inneren Inhalte aller fühlenden Wesen sind lediglich Namen, die unser Geist ihnen gibt – dies gilt es wiederholt zu erkennen! Bezüglich dieses Geistes suche wieder und wieder nach all seinen Merkmalen: seiner Form, Farbe und Gestalt, seinem Ursprung, seinem Aufenthaltsort und seinem Ziel. 

Wenn du aufgrund unterscheidender Untersuchung denkst, dass etwas eine wahre eigenständige Essenz hat, dann suche außerhalb und innerhalb, sowie in deinem eigenen Körper von Kopf bis Fuß.

Wenn du nichts findest, erkenne immer wieder, dass es leer (shunya) und ohne inhärente Natur ist. Aus dieser Leerheit entstehen viele verschiedene Gedanken – sowohl die Idee von Existenz als auch von Nicht-Existenz. Doch sowohl das erfassende Subjekt als auch das Erfassbare sind letztlich leer und ohne wirkliche Substanz.

Ohne auf zukünftige Gedanken zu warten oder vergangenen nachzujagen, bleibe in einem natürlichen Fluss ohne Anhaften oder Abneigung. Die klare Wahrnehmung des Erkennenden, ist der natürliche Ausdruck der eigenen ursprünglichen Bewusstheit. Wichtig ist, immer genau in diesem Zustand zu verweilen. Entscheide dich bewusst, welche Gefühle auch immer aufkommen – ob angenehm, schmerzhaft oder neutral – sie sind das natürliche Aufscheinen des Gewahrseins.

Die Vier Maras im Dharmadhatu durchtrennen

„Um die vier Maras zu unterscheiden: Da ist der substantielle Mara und der unstoffliche Mara, der Mara der Freude an weltlichem Status und der Mara des Egoismus.
Schlussendlich sind sie alle vom Mara des Egoismus umfasst.“

  • Trenne die Anhaftung an greifbare Objekte (Feinde, Dämonen, usw.) 
  • Trenne die Anhaftung an ungreifbare Geisteszustände (Ängste und Sorgen, usw.)
  • Trenne die Anhaftung an den Wunsch nach weltlichem Status und Ansehen 
  • Trenne die Anhaftung an das Ego

So wurde es von Machig Labdrön gelehrt, und es ist gut und sinnvoll, entsprechend zu praktizieren.

* aus dem Tibetischen übersetzt von Nivata